Ich bin schwerbehindert. Darf mich der Arbeitgeber überhaupt kündigen?
Viele schwerbehinderte Arbeitnehmer sind verunsichert, wenn sie eine Kündigung erhalten oder Gerüchte über Personalabbau im Betrieb hören. Das Gefühl, trotz gesundheitlicher Einschränkungen um den Arbeitsplatz kämpfen zu müssen, ist belastend. Doch die gute Nachricht lautet: Das deutsche Arbeitsrecht schützt schwerbehinderte Arbeitnehmer besonders stark. Eine Kündigung ist grundsätzlich nicht ohne Zustimmung einer Behörde zulässig – und nur unter engen Voraussetzungen erlaubt.

Die Kanzlei Gesterkamp Rechtsanwälte erklärt, welche Regeln gelten, wie Sie sich gegen eine unrechtmäßige Kündigung wehren und welche Rechte Sie im Kündigungsschutzverfahren haben.
Gesetzliche Grundlage: § 168 SGB IX
Der besondere Kündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen ist in § 168 des Neunten Sozialgesetzbuchs (SGB IX) geregelt.
Dort heißt es:
Wichtig: Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes.
Das bedeutet: Ohne diese Zustimmung ist die Kündigung unwirksam – unabhängig davon, ob der Arbeitgeber betriebliche, verhaltensbedingte oder personenbedingte Gründe anführt.
Ziel dieser Regelung ist es, schwerbehinderte Menschen vor Benachteiligung zu schützen und sicherzustellen, dass ihre gesundheitliche Situation bei Personalentscheidungen ausreichend berücksichtigt wird.
Wer gilt als schwerbehindert?
Als schwerbehindert gelten Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von mindestens 50.
Gleichgestellt werden auch Menschen mit einem GdB von 30 oder 40, wenn die Agentur für Arbeit feststellt, dass sie ohne Gleichstellung keinen geeigneten Arbeitsplatz finden können (§ 2 Abs. 3 SGB IX).
Der besondere Kündigungsschutz gilt erst, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderung weiß. Der Arbeitnehmer sollte also dafür sorgen, dass er dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung oder Gleichstellung nachweislich mitgeteilt hat; eine solche Information nach der Kündigung kann zum Kündigungsschutz führen.
Es empfiehlt sich, diese Mitteilung beweisbar vorzunehmen – am besten mit Kopie des Schwerbehindertenausweises oder des Bescheids der Agentur für Arbeit.
Wann ist eine Kündigung trotz Schwerbehinderung möglich?
Auch schwerbehinderte Arbeitnehmer können grundsätzlich gekündigt werden – allerdings nur mit Zustimmung des Integrationsamtes. Das Amt prüft jeden Einzelfall und wägt die Interessen beider Seiten sorgfältig ab.
Typische Gründe, die eine Kündigung rechtfertigen können, sind:
- betriebsbedingte Gründe, etwa der Wegfall des Arbeitsplatzes oder eine Betriebsstilllegung,
- personenbedingte Gründe, beispielsweise dauerhafte Arbeitsunfähigkeit,
- verhaltensbedingte Gründe, etwa erhebliche Pflichtverletzungen oder Störungen des Arbeitsverhältnisses.
In allen Fällen gilt: Das Integrationsamt prüft, ob die Kündigung in Zusammenhang mit der Behinderung steht und ob mildere Mittel – etwa eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz – möglich sind.
Verfahren beim Integrationsamt
Bevor der Arbeitgeber kündigen darf, muss er einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt stellen.
Das Verfahren läuft in mehreren Schritten ab:
- Anhörung des Arbeitnehmers – Der schwerbehinderte Mitarbeiter darf sich zum Sachverhalt äußern.
- Beteiligung des Betriebsrats (sofern vorhanden) sowie der Schwerbehindertenvertretung.
- Prüfung der Zumutbarkeit – Das Integrationsamt untersucht, ob die Kündigung wirklich unvermeidbar ist.
- Entscheidung des Integrationsamtes – Nach Abwägung aller Umstände erteilt das Amt die Zustimmung oder lehnt sie ab.
Das Amt hat dafür in der Regel einen Monat Zeit (§ 170 SGB IX).
Ergeht innerhalb dieser Frist keine Entscheidung, gilt die Zustimmung als erteilt („fiktive Zustimmung“) – aber nur, wenn der Arbeitgeber den Antrag ordnungsgemäß gestellt hat.
Fristen und Wirksamkeit der Kündigung
Nach Erhalt der Zustimmung durch das Integrationsamt hat der Arbeitgeber einen Monat Zeit, die Kündigung auszusprechen (§ 171 Abs. 3 SGB IX). Wird diese Frist überschritten, muss der Antrag erneut gestellt werden.
Wichtig für Arbeitnehmer:
Erhalten Sie eine Kündigung, obwohl Sie schwerbehindert oder gleichgestellt sind, müssen Sie grds. innerhalb von drei Wochen Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreichen (§ 4 KSchG).
Versäumen Sie diese Frist, müssen Sie davon ausgehen, dass die Kündigung – selbst wenn sie rechtswidrig war – als wirksam gilt (§ 7 KSchG).
Wann gilt der besondere Kündigungsschutz nicht?

Es gibt bestimmte Ausnahmen, in denen der besondere Schutz nicht greift:
- Während der Probezeit: In den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses besteht der Schutz noch nicht (§ 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).
- Bei befristeten Verträgen: Diese enden automatisch mit Fristablauf, ohne dass eine Kündigung erforderlich ist.
ABER er gilt in Kleinbetrieben: Zwar gilt dort der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG nicht, der besondere Schutz nach dem SGB IX aber trotzdem.
Nachträgliche Mitteilung der Schwerbehinderung
Viele Arbeitnehmer erfahren erst nach einer Kündigung, dass sie noch rechtzeitig einen Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung gestellt haben.
Nach aktueller Rechtsprechung (BAG, Urteil vom 02.03.2023 – 2 AZR 193/22) kann der besondere Schutz auch nachträglich greifen, wenn:
- der Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung mindestens drei Wochen vor Kündigung gestellt wurde, und
- der Arbeitgeber unverzüglich nach Zugang der Kündigung über die Schwerbehinderung informiert wird.
Auch in solchen Fällen kann die Kündigung unwirksam sein, wenn das Integrationsamt nicht beteiligt wurde. Aber denken Sie an die rechtzeitige Klage gegen die Kündigung.
Besondere Rolle der Schwerbehindertenvertretung
In Betrieben mit mindestens fünf schwerbehinderten Mitarbeitenden muss eine Schwerbehindertenvertretung gewählt werden (§ 177 SGB IX).
Diese ist bei der Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters in der Regel anzuhören.
Unterlässt der Arbeitgeber diese Anhörung, ist die Kündigung formell fehlerhaft und damit angreifbar.
Unterstützung durch die Kanzlei Gesterkamp

Die Durchsetzung von Rechten bei Kündigungen schwerbehinderter Arbeitnehmer ist rechtlich komplex.
Die Kanzlei Gesterkamp Rechtsanwälte aus Lünen unterstützt Sie dabei:
- Prüfung der Wirksamkeit der Kündigung,
- Vertretung im Verfahren beim Integrationsamt,
- Einreichung einer Kündigungsschutzklage,
- Vertretung vor dem Arbeitsgericht,
- Verhandlung über Abfindungen oder Weiterbeschäftigung.
Gerade weil die Fristen kurz und die rechtlichen Hürden hoch sind, lohnt sich eine schnelle Kontaktaufnahme.
Fazit
Eine Kündigung trotz Schwerbehinderung ist nur in Ausnahmefällen zulässig.
Der Arbeitgeber muss das Integrationsamt einschalten, die Zustimmung einholen und sämtliche Schutzvorschriften beachten.
ABER: Kündigung rechtzeitig vor dem Arbeitsgericht angreifen!
Wenn Sie betroffen sind, gilt: Reagieren Sie schnell.
Die Kanzlei Gesterkamp aus Lünen berät Sie umfassend zu Ihren Rechten, prüft die Erfolgsaussichten einer Kündigungsschutzklage und sorgt dafür, dass Ihr besonderer Kündigungsschutz gewahrt bleibt.
Sie sind schwerbehindert und haben eine Kündigung erhalten?
Kontaktieren Sie die Kanzlei Gesterkamp Rechtsanwälte – wir prüfen Ihren Fall, wahren Fristen und setzen Ihre Rechte konsequent durch.
