Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall – Dauer, Voraussetzungen und Sonderfälle
Eine plötzliche Erkrankung kann den Arbeitsalltag unerwartet unterbrechen. Für Arbeitnehmer stellt sich dann oft die Frage, wie lange das Gehalt im Krankheitsfall fortgezahlt wird. Die sogenannte Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist ein wichtiger Bestandteil des deutschen Arbeitsrechts. Sie soll sicherstellen, dass Beschäftigte im Falle einer Krankheit nicht sofort in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Doch die Regeln sind komplex: Es gibt gesetzliche Vorgaben, besondere Fristen, Ausnahmen und zahlreiche Sonderfälle. Rechtsanwälte Fachanwälte Gesterkamp erläutern hier die wichtigsten Punkte – von der Anspruchsdauer über die Voraussetzungen bis hin zu wiederkehrenden Erkrankungen.
Gesetzliche Grundlage der Entgeltfortzahlung
Die rechtliche Basis bildet das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Nach § 3 EFZG sind Arbeitgeber verpflichtet, das Arbeitsentgelt bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für einen bestimmten Zeitraum weiterzuzahlen.
Wichtige Eckpunkte:
- Der Anspruch gilt für alle Arbeitnehmer, unabhängig von der Branche.
- Auch Teilzeitkräfte, Auszubildende und geringfügig Beschäftigte sind einbezogen.
- Voraussetzung: Das Arbeitsverhältnis besteht seit mindestens vier Wochen ununterbrochen.
Das Ziel ist klar: Arbeitnehmer sollen sich im Krankheitsfall auf ihre Genesung konzentrieren können, ohne sofort finanzielle Einbußen befürchten zu müssen.
Dauer der Entgeltfortzahlung
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht für bis zu sechs Wochen (42 Kalendertage) pro Krankheitsfall. Danach endet die Pflicht des Arbeitgebers und die gesetzliche Krankenversicherung übernimmt die finanzielle Absicherung über das Krankengeld.
Wichtige Klarstellungen:
- Die sechs Wochen gelten pro Erkrankung.
- Handelt es sich um dieselbe Erkrankung, werden die Zeiten zusammengezählt.
- Aber Achtung: Beginnt während einer bestehenden Krankheit eine neue, unabhängige Erkrankung, entsteht kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung (sogenannte Einheit des Verhinderungsfalls).
Beispiel: Ein Arbeitnehmer erkrankt an einer Grippe und fällt drei Wochen aus. Nach Genesung arbeitet er eine Woche und erleidet dann einen Sportunfall. Für die zweite Erkrankung entsteht erneut ein voller Anspruch von sechs Wochen. Aber: Erleidet er die zweite Erkrankung während der Grippe entsteht kein verlängerter neuer sechs Wochen Zeitraum.
Voraussetzungen für den Anspruch
Damit Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung haben, müssen bestimmte Bedingungen erfüllt sein:
- Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit
- Die Krankheit muss die Ausübung der Tätigkeit unmöglich machen.
- Leichte Beschwerden, die die Arbeitsfähigkeit nicht beeinträchtigen, begründen keinen Anspruch.
- Mindestbeschäftigungsdauer
- Das Arbeitsverhältnis muss seit mindestens vier Wochen bestehen.
- Innerhalb dieser Wartezeit besteht Anspruch auf Krankengeld, nicht auf Entgeltfortzahlung.
- Melde- und Nachweispflichten
- Alle Arbeitnehmer müssen ihre Arbeitsunfähigkeit unverzüglich melden.
- Arbeitnehmer müssen dem Arbeitgeber keine ärztliche Bescheinigung auf Papier vorlegen. Nach der Krankmeldung holt der Arbeitgeber (bzw. sein Steuerberater) auf elektronischen Weg die AU-Daten direkt bei der Krankenkasse ab.
- Aber: Minijobber in Privathaushalten und Privatversicherte sind von dieser Regel ausgenommen. Diese müssen dem Arbeitgeber weiterhin eine Papier-AU vorlegen.
- Keine Eigenverschuldung
- Selbstverschuldete Krankheiten – etwa durch grob fahrlässiges Verhalten – können den Anspruch ausschließen.
Wiederholte oder fortgesetzte Erkrankungen
Ein besonders komplexes Thema sind wiederkehrende Krankheitszeiten.
- Neue Erkrankung: Entsteht während während einer bestehenden Krankheit eine neue, unabhängige Erkrankung, entsteht kein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung (sogenannte Einheit des Verhinderungsfalls).
- Fortsetzungserkrankung: Bei derselben Krankheit werden die Fehlzeiten zusammengerechnet.
- 12-Monats- bzw. 6-Monats-Regel: Liegt seit Beginn der ersten Erkrankung mindestens ein Jahr zurück oder ist der Arbeitnehmer sechs Monate nicht wegen derselben Krankheit ausgefallen, entsteht ein neuer Anspruch.
Beispiel: Ein Arbeitnehmer fällt im Januar wegen Rückenbeschwerden sechs Wochen aus. Erkrankt er im Juli desselben Jahres erneut an denselben Beschwerden, besteht kein neuer Anspruch, da die 12 Monate noch nicht vergangen sind.
Sonderfälle und Ausschlüsse
Die Entgeltfortzahlung ist nicht in jedem Fall garantiert. Es gibt Konstellationen, in denen der Anspruch entfällt oder eingeschränkt ist:
- Arbeitsunfall unter Alkoholeinfluss: Wer sich grob fahrlässig selbst schädigt, verliert möglicherweise den Anspruch.
- Arbeitskampfmaßnahmen: Bei Streiks oder Aussperrungen besteht kein Entgeltfortzahlungsanspruch.
- Kur- und Rehamaßnahmen: Nur wenn diese ärztlich verordnet und von der Krankenkasse bewilligt sind besteht ein Anspruch.
- Minijobs: Auch geringfügig Beschäftigte haben einen Anspruch, sofern die allgemeinen Voraussetzungen erfüllt sind.
Höhe der Entgeltfortzahlung
Der Arbeitgeber muss das volle regelmäßige Arbeitsentgelt weiterzahlen. Dazu gehören:
- Grundgehalt oder Stundenlohn
- Zulagen, Zuschläge (z. B. Nacht- oder Sonntagszuschläge)
- Durchschnittlich geleistete Überstunden (sofern regelmäßig angefallen)
Nicht berücksichtigt werden freiwillige Sonderzahlungen, wie z. B. Trinkgelder oder Prämien, die nicht arbeitsvertraglich zugesichert sind.
Übergang zum Krankengeld
Nach Ablauf der sechs Wochen greift die gesetzliche Krankenversicherung. Das Krankengeld beträgt in der Regel 70 % des Bruttogehalts, maximal jedoch 90 % des Nettogehalts, und ist zudem nach oben hin gedeckelt.
Für Arbeitnehmer bedeutet das oft eine deutliche Einkommensminderung. Daher ist die genaue Abgrenzung, ob ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung oder Krankengeld besteht, häufig ein Streitpunkt zwischen Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Krankenkassen.
Typische Streitpunkte in der Praxis
Die Erfahrung zeigt, dass es in der Praxis immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt, beispielsweise bei:
- Uneinigkeit über die Frage, ob es sich um eine neue Erkrankung handelt.
- Streit über die rechtzeitige Meldung der Arbeitsunfähigkeit.
- Diskussionen über ein mögliches Mitverschulden des Arbeitnehmers.
- Unklarheiten über die Höhe des fortzuzahlenden Entgelts, etwa bei Schichtzuschlägen oder Überstunden.
Hier ist oft juristische Expertise gefragt. Rechtsanwälte Fachanwälte Gesterkamp unterstützen Arbeitnehmer wie auch Arbeitgeber dabei, ihre Rechte durchzusetzen.
Handlungsempfehlungen
Für Arbeitnehmer
- Informieren Sie den Arbeitgeber sofort über die Erkrankung.
- Geben Sie die AU-Bescheinigung rechtzeitig ab (wenn verpflichtet s.o).
- Dokumentieren Sie Krankheitszeiten sorgfältig, insbesondere bei wiederkehrenden Diagnosen.
- Achten Sie darauf, dass der Arzt die Diagnose genau formuliert, um unnötige Streitigkeiten zu vermeiden.
Für Arbeitgeber
- Kontrollieren Sie die (elektronischen) Bescheinigungen sorgfältig.
- Klären Sie, ob es sich um eine Fortsetzungserkrankung oder eine neue Erkrankung handelt.
- Halten Sie innerbetriebliche Prozesse zur Krankmeldung klar geregelt.
- Ziehen Sie im Zweifel rechtzeitig rechtlichen Rat hinzu, bevor Zahlungen verweigert werden.
Fazit
Die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ist eine zentrale arbeitsrechtliche Absicherung für Arbeitnehmer. In der Regel gilt: Bis zu sechs Wochen zahlt der Arbeitgeber das volle Entgelt weiter. Danach übernimmt die Krankenkasse mit dem Krankengeld.
Doch Sonderfälle wie wiederkehrende Erkrankungen, Neuerkrankungen, Eigenverschulden oder Streitigkeiten über die Höhe der Zahlung machen die Materie komplex. Die Gesterkamp Rechtsanwälte beraten Sie umfassend, wenn es zu Konflikten über die Dauer, die Höhe oder die Voraussetzungen der Entgeltfortzahlung kommt.
Sie haben Ärger mit Ihrem Arbeitgeber wegen der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall? Oder sind Sie als Arbeitgeber unsicher, ob Sie zur Zahlung verpflichtet sind?